Experten raten, die normale Reiserichtlinie auch in der Krise nicht zu ändern. Stattdessen empfiehlt sich eine spezielle "Pandemie-Anlage". Richtlinien-Anpassung wäre zeitaufwändig Chatbot hilft den Reisenden direkt
Mitarbeiter, die sich vereinzelt per Charter-Jet, Privatauto oder sogar per Wohnmobil auf Dienstreise begeben: Zum Höhepunkt der Corona-Pandemie, als die Flugzeuge am Boden blieben und die Hotels geschlossen waren, griff so manches Unternehmen zu außergewöhnlichen Mitteln, um weiterhin mobil sein zu können.
Denn trotz Lockdown konnte nicht jede Firma völlig auf Business Trips verzichten. Inzwischen stehen die Hotels zwar wieder offen, Flieger starten. Vom klassischen und in den Reiserichtlinien geregelten Dienstreisealltag ist die Branche aber weit entfernt.
Doch trotz aller Einreise-Beschränkungen, Hygieneregeln und neuen Genehmigungspflichten: Von einer Änderung der Reiserichtlinien raten viele Experten ab. "Schließlich besteht die Hoffnung, dass irgendwann ein Medikament gefunden wird", sagt Beraterin Andrea Zimmermann (btm4u) – und dass es dann zu einer Rückkehr zur Reisenormalität kommt.
Befristete Sonderrichtlinie bevorzugen
Zimmermann rät stattdessen zu einer zeitlich befristeten Sonderrichtlinie. In dieser lassen sich etwa spezielle Genehmigungspflichten für das Reisen in Pandemiezeiten verankern oder andere Fragen klären, die Firmenkunden, Reisende und Geschäftsreisebüros derzeit besonders beschäftigen.
"Ist in der normalen Richtlinie etwa für bestimmte Strecken innerhalb Deutschlands die Nutzung der Bahn vorgeschrieben, könnte im gesonderten Regelwerk das Auto erlaubt werden", erläutert sie – um Beschäftigten die Angst vor möglicher Ansteckung zu nehmen.
Ebenso gehört dazu der Hinweis, vor Flügen frühzeitiger als üblich zum Flughafen anzureisen, da wegen vorgeschriebener Hygienemaßnahmen der Check-in oder die Sicherheitskontrolle möglicherweise mehr Zeit in Anspruch nehmen.
Ausnahmen in Corona-Zeiten definieren
Ein anderes Beispiel: Der Reisende will sich aus Sicherheitsgründen nicht in den Frühstücksraum im Hotel setzen und damit eine bereits vom Arbeitgeber bezahlte Mahlzeit durch eine neue ersetzen – etwa aus der benachbarten Bäckerei. Auch in diesem Fall ließe sich in der Sonderrichtlinie regeln, dass dieses Vorgehen in Corona-Zeiten erlaubt ist, wenn der Mitarbeiter eine Quittung vorlegen kann, erklärt Zimmermann.
Steuerrechtlich kann eine solche Ersatzmahlzeit unter bestimmten Bedingungen erstattet werden. "Und die Reisenden sollten explizit auf die Pflicht zur Mitnahme der A1-Bescheinigung und auf die EU-Meldepflicht hingewiesen werden", empfiehlt die Beraterin, die auch an der VDR-Akademie Travel Manager ausbildet. Denn wird intensiver kontrolliert, verlangen Beamte auch diese Papiere.
Doch trotz des Ratschlags, das Regelwerk rein coronabedingt nicht zu ändern, sollten Firmen die Gelegenheit nutzen, die Richtlinien einmal grundlegend durchzusehen. „Wer etwa feststellt, dass die Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung einer Reise in den Richtlinien fehlt, sollte das ergänzen“, sagt Zimmermann.
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Zudem lasse sich gerade jetzt analysieren, welche Reisen in Zukunft vermieden werden können. Und: Die Reiseprozesse sollten spätestens jetzt digitalisiert werden, damit von überall her auf notwendige Daten zugegriffen werden kann. Gerade für kleinere Unternehmen hat die Darmstädterin ein Smart-Consulting-Paket geschnürt, das einen Richtlinien-Check enthält.
"Der allgemeine Satz ,Prüfen Sie die Notwendigkeit einer Reise‘ lässt sich nun mit klaren Regeln und Hinweisen erläutern – aus Erfahrungen, die in der Corona-Krise durch ausgefallene oder virtuell vorgenommene Geschäftsreisen gewonnen wurden.“ Entsprechende Pandemiesonderregeln seien immer abhängig von den Reisegründen und Reisezielen des jeweiligen Betriebs; generell gültige Blankovorlagen gebe es nicht.
Tatsächlich haben bislang vergleichsweise wenige Unternehmen ihre Richtlinien angepasst. "So etwas ist meistens eine komplexe Angelegenheit", sagt Ingo Burkardt, der sich bei GBT um globale Kunden kümmert. So müssten diverse Abteilungen und Betriebsrat eingebunden werden. Dadurch würde ein solches Projekt sehr zeitaufwändig, was gar nicht in Corona-Zeiten passt: Sowohl eigene Mitarbeiter als auch die der Anbieter befinden sich in Kurzarbeit, und zudem ändert sich die Pandemielage permanent.
Sicherheit steht immer oben
Zu den Unternehmen, die keine coronabedingten Änderungen an der Richtlinie vorgenommen haben, gehört Porsche. "Sicherheit auf Dienstreise ist unabhängig von Covid-19 immer wichtig", sagt Travel Managerin Brigitte Lehle: "Daher sind Sicherheitsaspekte als Entscheidungskriterium für eine Reise neben Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit in den Richtlinien fest verankert."
Diese seien überdies Korsette, die den Rahmen geben und für die offenere Formulierungen wichtig seien: "Sie helfen, den Reisenden eine Wahlfreiheit zu geben", sagt Lehle – wobei "offen" nicht "schwammig" heißen dürfe.
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Fakt sei jedoch, dass sich immer mehr Mitarbeiter Wahlmöglichkeiten wünschten und neue Mobilitätsformen nutzen wollten, etwa Car Sharing, Taxi Sharing oder E-Scooter. Statt bestimmte Verkehrsmittel vorzuschreiben, nennt Porsche Kriterien, die bei der Auswahl zu beachten sind. Näheres wird bei Bedarf in zusätzlichen Dokumenten geregelt, auf die verwiesen wird – oder es ergibt sich im Optimalfall automatisch im Buchungsprozess.
Die Richtlinien selbst sollten weniger starr ausfallen. Priorität habe der Hinweis auf Möglichkeiten der Reisevermeidung: Ist der Business Trip wirklich unbedingt nötig? Würde nicht eine Webkonferenz reichen – auch aus Gründen der Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit? "Bei weitergehenden Fragen oder auch in Krisen wie Corona hilft uns unser im Intranet installierter Chatbot", sagt Brigitte Lehle. Er beantwortet die entsprechenden Fragen der Reisenden direkt. "Dazu muss sich niemand mehr durch eine umfangreiche Reiserichtlinie wühlen."
Hätte man zum Beispiel Car Sharing oder die gemeinsame Taxinutzung in der Richtlinie verbindlich vorgeschrieben, weil dies der Umwelt diene, "würde gerade dies in Corona-Zeiten und wegen der Angst vor Ansteckung kontraproduktiv wirken", erläutert Lehle: "Damit würde es dem Nachhaltigkeitsgedanken einen Bärendienst erweisen."
Es gehe aber auch darum, "den Reisenden die Angst vorm Unterwegssein zu nehmen", sagt Andrea Zimmermann – etwa mit intensiver Aufklärung über die Hygienemaßnahmen der Dienstleister.
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Wer etwa weiß, dass die Klimaanlagen an Bord eines Flugzeugs die Coronaviren herausfiltern, "der fragt erst gar nicht mehr nach der vermeintlich sichereren Business Class, welche die Richtlinie nicht erlaubt". Umgekehrt könnte eine Sonderrichtlinie regeln, dass die Kosten für freie Mittelsitze getragen werden, wenn diese etwa zum halben Preis mitbuchbar sind.
Mehr Richtlinientreue möglich
Zahlreiche weitere Fragen ließen sich in einer Pandemie-Anlage klären – von speziellen Reiseregelungen etwa für Risikogruppen bis hin zur Frage, was passiert, wenn während der Reise vor Ort ein Corona-Hotspot entsteht.
"Am Ende besteht gerade jetzt die große Chance, die Reisenden richtlinientreuer werden zu lassen", sagt Andrea Zimmermann: "Denn nur wer sich an die vorgeschriebenen Buchungskanäle hält, dem kann vor und während der Reise geholfen werden." Ein nicht unerheblicher Vorteil in Zeiten von Corona!
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