Vor Corona war es kaum denkbar: Nicht nur Prozesse lassen sich digitalisieren, sondern auch das Reisen selbst. Drei Beispiele von Veranstaltern, die auf digitale Reisen setzen.
Im dritten Pandemiejahr stehen viele mittelständische Veranstalter weiter unter Druck. Vor allem Fernreiseanbieter steuern um und bieten zusätzlich europäische und inländische Ziele an. Zwei Beispiele dafür sind der Südostasien-Spezialist
Green Tiger Travel mit Schwarzwald-Touren oder Asien- und Afrika-Spezialist
Auf und Davon Reisen mit Wandertouren durch das Bergische Land.
Beispiel: Alsharq Reise
Der Spezialist für politische Studienreisen durch Westasien und Nordafrika bietet digitale Touren und City Trips, etwa eine Live-Führung durch Persepolis. Zu Beginn der Pandemie organisiert das Alsharq-Team kostenfreie Online-Events für Kunden wie ein Gespräch mit Referenten aus Israel und Palästina. Daraus entsteht die Idee für bezahlte digitale politische Reisen. Sie helfen durch die Krise, auch weil sich laut Geschäftsführerin
Johanna Pelikan "superspannende Kooperationsprojekte" ergeben, etwa digitale Lernreisen für Unternehmen und Online-Events mit Universitäten und Stiftungen.
Der Schwenk Richtung Europa ist nicht nur der blanken Not geschuldet, überhaupt etwas anbieten zu können. Viele Veranstalter rechnen auch für die Zeit nach der Pandemie damit, dass nahe Ziele an Bedeutung gewinnen werden, weil sich das Kundeninteresse dahin bewegt.
Nicht nur das Produkt ändert sich. Auch der Bedarf wächst, bei Kundinnen und Kunden in unaufdringlicher Weise präsent zu sein und ihnen digital ein erweitertes Reiseerlebnis zu bieten. Beispiele sind Online-Stadtführungen wie bei
Alsharq Reise, Yoga-Retreats per Videostream bei Neue Wege oder länderbezogene Kochkurse im Internet bei
Fairaway Travel.
Beispiel: Neue Wege
Der Yogaspezialist Neue Wege setzt in der Pandemie auf Online-Retreats ab 35 Euro (ein Tag) bis 135 Euro (fünf Tage). Zum Kennenlernen gibt es kostenfreie, live ausgestrahlte Online-Tage mit Probeangeboten. Wie Alsharq hat Neue Wege ein eigenes Video-Streaming-Studio aufgebaut. Ein kleiner fünfstelliger Betrag, teilweise durch die Digitalisierungsprämie subventioniert, floss laut Chef
Johannes Reißland in Kamera, Greenscreen, Mischpult und Powerrechner. Bald will er Online-Extras zur Vor- und Nachbereitung anbieten, die gegen Aufpreis reale Ayurveda-Reisen ergänzen.
"Die Corona-Krise hat die Digitalisierung von Reisen unglaublich vorangetrieben", bestätigt Johannes Reißland, Chef des Yogaspezialisten
Neue Wege aus Rheinbach in der Voreifel. Digitale Kundenabende oder gar kleine Messen gehören nicht nur bei Neue Wege mittlerweile zum Standardrepertoire von Veranstaltern, ebenso wie Videoberatung von Endverbrauchern und Reisebüros.
Dirk Radke, Geschäftsführer des Fernreisespezialisten Fairaway Travel in Berlin, sieht Digitalisierung "auch nach Corona als Ergänzung zu realen Reisen, um die Vorfreude zu schüren, um neue Kunden zu gewinnen und den Kontakt zu den Locals im Zielgebiet zu halten".
Beispiel: Fairaway Travel
Online-Kochkurse ab 29 Euro pro Haushalt sind für den Fernreisespezialisten Fairaway Travel ein Weg aus dem Stillstand. Statt realer Kochevents während einer Reise zeigen lokale Guides live per Webcam, was sie im Garten anbauen. Dann wird online zusammen gekocht. Bislang gibt es Kurse aus Sri Lanka, Georgien und Ekuador sowie einen Fotokurs aus Tansania. Die Online-Kurse helfen laut Geschäftsführer
Dirk Radke, Kunden zu binden, viele neue zu gewinnen und den Kontakt zu den Guides in den Zielgebieten zu halten.
Die Chancen liegen dabei weniger in den Deckungsbeiträgen, meint Neue-Wege-Vormann Reißland, als "in den neuen Touchpoints zu den Kunden". Es gehe darum, der Kundschaft zu zeigen: Wir sind da. Der Veranstalter hat für einen niedrigen fünfstelligen Euro-Betrag, teilweise finanziert mit der staatlichen Digitalisierungsprämie, eigens ein eigenes Video-Streaming-Studio eingerichtet.
Auch Alsharq Reise, ein Anbieter politischer Studienreisen durch Westasien und Nordafrika, hat in Studiotechnik investiert. "Wenn physische Reisen möglich werden, werden diese wieder dominieren", meint Alsharq-Geschäftsführerin Johanna Pelikan. Sie sieht aber weiter Nachfrage für digitale Reisen in Länder wie Afghanistan oder Syrien, die für die meisten Menschen aus politischen Gründen physisch nicht bereisbar sind.
Hilflos ohne Hilfen? So wollen Reiseanbieter neu durchstarten
Zurück in die Zukunft: In der Titelgeschichte von fvw|TravelTalk dreht sich alles rund ums Thema staatliche Hilfen und wie der touristische Mittelstand zum Teil die Krise genutzt hat, um seine Geschäftsmodelle zu durchleuchten und anzupassen.
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Digitale Minireisen könnten zudem zur Vorbereitung einer physischen Reise eingesetzt werden, so Pelikan. Für Alsharq rechnet sich der Vorstoß ins Digitale auch an anfangs nicht erwarteter Stelle: So buchen Unternehmen digitale Lernreisen für Mitarbeiter. Auch bei Stiftungen und Universitäten ist Alsharq gefragt. "Wir werden inzwischen als Spezialisten für digitale Events gesehen", erläutert Pelikan und will an dem neuen Geschäftsfeld festhalten.
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