Der Vorreiter

Foto: Traffics

Geboren in Pakistan, groß geworden in Berlin-Wedding, seit mittlerweile über 20 Jahren Chef der Software-Schmiede Traffics: Wie es Salim Sahi vom Schuhverkäufer bis in die erste Liga der Travel-Tech-Branche schaffte.

Wenn man auf Salim Sahis persönlicher Website ("The pioneer of Travel Tech") surft, bekommt man unvermeidlich den Eindruck: Dieser Mann redet sich nicht klein.

"Erfahre hier, wie er mit 19 sein erstes Start-up aus dem Nichts als Senkrechtstarter zum Erfolg führte und wie er über Nacht alles wieder verlor. Wie er erneut durchstartete, mit einem Negativ-Kapital eine neue technologische Erfindung realisierte und damit die Reiseindustrie digitalisierte."

Dann wiederum: Der Traffics-Gründer (47) hat tatsächlich eine bemerkenswerte Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Karriere hingelegt. Mit dem einen Unterschied, dass er zu Beginn seiner Laufbahn keine Teller putzte, sondern Schuhe verkaufte.
Gefragter Gesprächspartner in Sachen Tourismus: Sahi sprach Anfang Juni im RTL-Interview über Buchungen und Suchanfragen der Deutschen.
Gefragter Gesprächspartner in Sachen Tourismus: Sahi sprach Anfang Juni im RTL-Interview über Buchungen und Suchanfragen der Deutschen.
Traffics

Vollblutunternehmer mit Pioniergeist

Software für den Tourismus – made in Berlin
Traffics gilt als einer der führenden Player in der Travel-Technology-Branche – und als Treiber für Innovationen. Kernkompetenz der Berliner sind Beratungs-, Such-, Reservierungs- und Buchungssysteme. Genutzt wird die Berliner Software von Reisebüros, OTA, klassischen Veranstaltern, Reiseportalen, Airlines und Hotels.
Was sich wie ein roter Faden durch Sahis Karriere zieht: Der einstige Start-upper scheut keine Risiken, ist investitionsfreudig, geht mit dem Markt und probiert immer wieder Neues aus.

So hat der Mittelständler Traffics schon oft eine Vorreiterrolle bei der Digitalisierung der Tourismusbranche eingenommen: von Dynamic Packaging und Reise-Apps fürs Smartphone über Alexa-Skills zur Pauschalreisesuche oder die Integration von Paypal als Zahlungsmittel bis zu Heliview oder Empfehlungs-Engines auf der Basis von künstlicher Intelligenz. Für nicht wenige in der Branche gilt Sahi als Visionär.

Aber der Reihe nach.
Familie mit pakistanischen Wurzeln: Als 13-Jähriger besuchte Salim Sahi (Zweiter von rechts) sein Vaterland. Es war das erste und letzte Mal.
Familie mit pakistanischen Wurzeln: Als 13-Jähriger besuchte Salim Sahi (Zweiter von rechts) sein Vaterland. Es war das erste und letzte Mal.
Traffics

Karachi, Kusel, Berlin

Geboren wurde Sahi 1974 in der pakistanischen Metropole Karatschi. Als er zwei war, zog es seinen Vater, einen Elektroingenieur, nach Deutschland. Im kleinen Kusel in Rheinland-Pfalz wuchs er behütet auf, spielte Fußball im selben Klub wie der spätere Nationalstürmer Miroslav Klose.

Mit elf Jahren ging es nach West-Berlin. In Wedding lebte die Familie in dürftigen Verhältnissen. Fußballschuhe und Spielzeug bescherte nur das Sozialamt. Dazu musste Sahi schnell lernen, sich im rauen Arbeiterviertel zu behaupten. Er träumte dennoch groß: "Ich wollte schon immer eine große Firma mit vielen Mitarbeitern leiten", erinnert er sich.

Doch zuerst machte er eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann und verkaufte Schuhe.

Fax & Fly: Revolution per Faxgerät

1993 borgten sich Sahi und sein älterer Bruder Anwar 200 DM Startkapital von der Mutter und gründeten damit im elterlichen Wohnzimmer ein Reisebüro. Ihre Geschäftsidee: Flüge und Hotels per Faxgerät buchbar zu machen – ein revolutionärer Service in der Prä-Internet-Ära.

Aus einem Fax wurden viele Faxe – so viele, dass die Mutter mahnte, die Familie habe kaum Platz zum Wohnen. Also zogen die Brüder in ein Büro, eröffneten weitere Reisebüros, schließlich einen Veranstalter. Improvisation war Trumpf: Für den ersten Charterflieger besorgte Sahi das Catering in letzter Minute bei McDonalds: genau 174 Menüs.

1998 folgte die Bruchlandung: Ein Airline-Partner verlor die Lizenz. Sahi haftete für die Ausfälle. Es folgten Insolvenz und Privatschulden.
Nicht in der Garage, sondern im Wohnzimmer: Dort starteten Salim Sahi (links) und Jens Muskewitz 1999 ihre Zwei-Mann-Firma.
Nicht in der Garage, sondern im Wohnzimmer: Dort starteten Salim Sahi (links) und Jens Muskewitz 1999 ihre Zwei-Mann-Firma.
Limberg

Unschlagbar bis in alle Ewigkeit

Wenn CEO Sahi das Gesicht und der Ideen- und Taktgeber von Traffics ist, dann ist Jens Muskewitz (48) der Architekt im Hintergrund. Der CTO (Chief Technology Officer) entwickelt aus Sahis Ideen Software.
Der Architekt
Jens Muskewitz wuchs zu DDR-Zeiten in Ost-Berlin auf und lernte als Nachrichtentechniker beim Militär das IT-Business von der Pike auf. Bei Traffics trägt der Mitgründer die Titel CSA (Chief Software Architect) und CTO (Chief Technology Officer). Vor Traffics arbeitete der 48-Jährige an Verschlüsselungs- und Kommunikationstechnologien.

Das erste Mal trafen sich die zwei auf einer Grillparty kurz vor der Jahrtausendwende. "Es hat von der ersten Sekunde an gefunkt", erinnert sich Sahi. Bei Würstchen und Bier skizzierte er dem Software-Ingenieur seine Idee: Er wolle die Beratungsprozesse in den Reisebüros beschleunigen und brauche darum ein Programm, mit dem man mit einem Klick Preise vergleichen könne. "Ja, klar", meinte Muskewitz.  

Als Zwei-Mann-Betrieb und mit einem Minuskapital von 800.000 DM gründeten sie 1999 die Traffics Softwaresysteme für den Tourismus – in Sahis Wohnzimmer. "Jens ist wie ein Bruder für mich", sagt Sahi heute. "Zusammen sind wir ein unschlagbares Team für die Ewigkeit."
Gehen mit der Zeit: die Traffics-Gründer Jens Muskewitz und Salim Sahi mit Tochter Olivia beim 20. Firmenjubiläum im Kino Kosmos in Berlin.
Gehen mit der Zeit: die Traffics-Gründer Jens Muskewitz und Salim Sahi mit Tochter Olivia beim 20. Firmenjubiläum im Kino Kosmos in Berlin.
Traffics

Durchbruch mit Expedia

Zunächst backte man kleine Brötchen. Während viele Spezialisten für ihre Buchungssysteme ein Team von Programmierern beschäftigte, griff bei Traffics Muskewitz anfangs solo in die Tasten: zuerst für das Preisvergleichssystem, später für die IBE oder das hauseigene CRS. Letzteres stampfte er in vier Monaten aus dem Boden.
Traffics in Zahlen
• 1999 in Berlin gegründet
• 50 Mitarbeiter
• Zweigstellen in Mallorca, Kairo, Bukarest
• 4500 Reisebüros, 160 OTA, 250 klassische und Online-Veranstalter als Kunden
• 500 Mrd. Angebotsdatensätze
• 1,3 Mrd. Euro vermittelter Online-Reiseumsatz

Steil aufwärts ging es 2003 mit Expedia, dem ersten Großkunden. Die wollten die Traffics-Technik für ihr Warenkorbsystem ("Click & Mix") für kombinierte Flug- und Hotelbuchungen nutzen. Schon bald standen andere Käufer Schlange bei den Jungunternehmern.

Im Zuge der Professionalisierung wurde kurzerhand auch ein eigenes Rechenzentrum aufgebaut. Ständig wurden neue Server angeschleppt, so dass benachbarte Firmen sich sicher waren, das Traffics ein Porno-Anbieter sei. "Heute sind es Hunderte Server", sagt Sahi stolz.

Zuletzt hat er die Kapazitäten abermals aufgestockt, denn trotz (oder gerade wegen) der Corona-Krise würden die Anfragen "ohne Ende steigen: Die Leute sehnen sich nach Reisen, sie wollen verreisen, sie suchen nach Reisen."

Sturm-und-Drang-Zeit

Spricht man über Sahis Vita, darf ein Aspekt nicht fehlen: Für die Travel-Tech-Szene war der junge Sahi ein ungewohnt schillernder Typ. Ein Macher und IT-Autodidakt, der sich von unten hochgearbeitet hatte und keinen Zweifel hegte, dass er alles erreichen konnte: forsch, vollmundig, quirlig, kampflustig, zuweilen provokant, eine Berliner Schnauze.

Bereits 1999 verkündete er, Marktführer unter den IBE-Anbietern werden zu wollen. Ein neues System stellte er schon mal als "Terminator" und "Killerapplikation" vor. Branchenprimus Amadeus kanzelte er als "überflüssig und austauschbar" ab.
Mit Blick auf den "Alex": Nach vier Umzügen residiert Traffics seit 2013 in einem 1800 m² großen Hochhausbüro in Berlin-Friedrichshain.
Mit Blick auf den "Alex": Nach vier Umzügen residiert Traffics seit 2013 in einem 1800 m² großen Hochhausbüro in Berlin-Friedrichshain.
Traffics

Lange belächelte die Branche den Newcomer. Beim fvw Kongress 2009 etwa veräppelte ihn der CEO vom Mitbewerber Partners, in dem er Traffics-Produkte mit einem Sportwagen verglich, der unversehens zu einem schnöden Motorroller schrumpfte – ein Seitenhieb auf Sahi, der damals mit einem weißen Porsche durch Berlin düste.

"In den ersten Jahren waren wir jung, unerfahren und sehr dynamisch", sagt Sahi, der heute einen weißen Tesla fährt. "Wir haben uns aber schnell angewöhnt, durch Leistung und zuverlässigen Service zu überzeugen." Im Partners-Fall hatte Sahi auch das letzte Lachen, denn zwei Jahre später meldete der Kontrahent Insolvenz an. Sahi: "Permanent unterschätzt zu werden kann auch eine Stärke sein."
Ritterschlag: Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich 2014 von Sahis Erfindung Heliview beeindruckt.
Ritterschlag: Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich 2014 von Sahis Erfindung Heliview beeindruckt.
Traffics

IT- und Ideen-Schmiede

Zwei Produkte stehen sinnbildlich für Traffics Innovationskraft.

Das erste ist Heliview. Auf die Idee kam Sahi 2011 in der Sauna. Um bei der Buchung mehr Emotionen zu wecken, ließ er Hotels in touristischen Küstenregionen aus der Hubschrauberperspektive filmen. Die Aufnahmen wurden als Video in Traffics-Buchungssysteme eingespeist. Der Clou: Direkt in die Filme wurden sowohl Hotel-, Preis- und Verfügbarkeitsdetails als auch eine klickbare Buchungsfunktion eingeblendet.

Sogar Angela Merkel war ein Fan des Tools.

Traffics anderer Coup heißt Connected Destination. Es ist das Zukunftsprojekt der Berliner. Seit 2017 erweitert der digitale Marktplatz die Geschäftsfelder wesentlich. Viele internationale Touristik- und IT-Konzerne möchten laut Sahi als Investoren liebend gern in das Projekt einsteigen.

Auf der Plattform sind Hotels und andere Anbieter aus inzwischen 23 Zielen direkt an Vertriebskanäle im Quellmarkt angeschlossen und können so ihre Produkte zu ihren Raten buchbar machen – ohne Umwege. Sahi nennt es "unser disruptives Tool".
Aktionsbündnis "Rettet die Reisebranche": Cosmonauti, das Maskottchen für Traffics Buchungssystem Cosmonaut, protestierte in Berlin mit.
Aktionsbündnis "Rettet die Reisebranche": Cosmonauti, das Maskottchen für Traffics Buchungssystem Cosmonaut, protestierte in Berlin mit.
Traffics

Fokus auf KI

Solche Geistesblitze sind der Grund, warum manche Traffics-Mitarbeiter Sahi "unseren Steve Jobs" nennen. Er selbst bewundert das Schaffen des Apple-Gründers. "Er hat in einer ähnlich aufregenden Zeit wie wir gelebt und seine Visionen umgesetzt und damit die Welt verändert."

Sahi ist allerdings wichtig zu betonen, dass er sich nie mit Jobs oder Bill Gates vergleichen würde: "Das sind Menschen von einem anderen Stern."

"20 Jahre ITB mit Jens und Salim" (2019)


Traffics' aktueller Fokus liegt auf künstlicher Intelligenz und Machine Learning. "Wir wollen die Suchprozesse immer weiter optimieren, um auf Reiseanfragen mit den bestmöglichen, passenden Angeboten zu reagieren."

Sahi geht noch weiter: "Schon sehr bald" werde es ein intelligentes Buchungssystem geben, das auf Basis des Online-Verhaltens eines Kunden erkennt, wann dieser urlaubsreif sei. "Spätestens mit der Pandemie werden weitere Gesundheits- und Stresszustände digitalisiert – das sind Daten, die als Grundlage für so eine Funktion nötig sind."
Mit Blick auf den "Alex": Nach vier Umzügen residiert Traffics seit 2013 in einem 1800 m² großen Hochhausbüro in Berlin-Friedrichshain.
Mit Blick auf den "Alex": Nach vier Umzügen residiert Traffics seit 2013 in einem 1800 m² großen Hochhausbüro in Berlin-Friedrichshain.
Traffics

Vater mit Party- und Geschichtsfaible

Apropos Stress: Sahis Rezept dagegen lautet Spielen mit seinen drei Kindern. "Da sieht die Welt gleich anders aus." 2011 wurde er erstmals Vater. Seitdem ist er nicht mehr so umtriebig, versucht etwa an Wochenenden freizumachen. Seinen Ruf als Dauergast bei den Berliner Touristik-Partys – "sobald diese wieder stattfinden" – will er aber nicht aufgeben.

Nimmt er sich Zeit für sich, fiebert er mit Hertha BSC ("eine Herzensangelegenheit") oder schmökert in Geschichtswälzern, seine heimliche Leidenschaft. Wäre er kein ITler geworden, "wäre ich Archäologe und auf der Suche nach dem Grab Alexanders des Großen". Zurzeit liest Sahi über seine Heimat: "Berlin – Biografie einer großen Stadt". Zumindest auf die Reisebranche gemünzt zählt er jetzt schon zu den ganz Großen der Metropole.
Zu Ende gedacht
Typisch deutsch an mir ist …
… meine Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit.

Typisch pakistanisch an mir ist …
… sehr gern scharf zu essen.

Jungunternehmern sage ich: 
Glaubt an eure Vision, seid geduldig. Hört auf Ratschläge und setzt euer Produkt stets mit Leidenschaft um.

Amadeus ist …
… ein starker Mitbewerber auf Augenhöhe.

Das „nächste große Ding“ in der Travel Tech ist …
… die automatisierte, totale digitalisierte Vernetzung der Wertschöpfungskette.

In zehn Jahren ist Traffics …
… eine digitale Plattform, die weltweit alle möglichen Anbieter von Reiseleistungen untereinander vernetzt.
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