Mehrere Touristiker überbringen Hilfsgüter und nehmen Flüchtlinge mit nach Deutschland. Was sie an der ukrainischen Grenze erleben und welche Tipps sie für die richtige Hilfe geben, schilderten sie im Live-Talk auf Counter Place.
Die hohe, beeindruckende Hilfsbereitschaft in der Reisebranche hat sich bis in die Ukraine herumgesprochen. "Ich habe mitbekommen, dass auch Ihre Reisebranche unser Land unterstützt und hilft", hatte uns der ukrainische Touristiker Jurij Procyk vor wenigen Tagen per E-Mail geschrieben.
Kurzerhand luden wir den Ukrainer, ehemaliger Leiter der TUI-Niederlassung in Lemberg und Ex-Managing-Partner des Incoming-Veranstalters Reisewelt Ukraine für Gruppen und Individualgäste aus dem deutschsprachigen Raum, zum Live-Talk am gestrigen Donnerstag ein.
Täglich bis zu 20 Züge mit 200.000 Flüchtlinge
Leider brach die Internet-Verbindung während des Gesprächs ab und konnte nicht wieder hergestellt werden. Der Touristiker aus der Ukraine berichtete im Nachgang per E-Mail an fvw|TravelTalk, dass nach Lemberg mit einer Million Einwohnern allein in den vergangenen Tagen 200.000 Menschen geflüchtet seien. "Täglich kommen zehn bis 20 Züge dazu, mit rund 1000 Menschen dazu", schrieb er.
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Momentan organisierten Freiwillige die Flüchtlingsarbeit. Aber die Stadt Lemberg, in der er wohnt, wende sich auch an internationale Hilfsorganisationen. Auch Jurij Procyk leistet ehrenamtliche Hilfe bei der Information und Logistik für Flüchtlinge und begleitet aktuell internationale Journalisten.
Diese Unterstützung vor Ort von Helfern, die die Sprache beherrschen, kann ausschlaggebend sein. So berichtet Pia Emonds, Inhaberin des Reisebüros Reiseengel in Stolberg, von kopflosen Hilfsaktionen für die Ukraine, die an der Sprachbarriere scheiterten.
So seien Helfer vor Ort gewesen, um zu helfen, hätte aber keinen Dolmetscher dabei gehabt. "Andere Helfer haben acht Flüchtlinge mitnehmen wollen nach Deutschland, ohne zu wissen, wohin."
Aktuellen Bedarf der Flüchtlinge erfragen
Sie empfiehlt, sich im besten Fall an ukrainische Hilfsvereine zu wenden und zu erfragen, was genau benötigt wird. "Auf keinen Fall sollte man das als Gelegenheit betrachten, seine unbrauchbaren Dinge auszusortieren", betont Emonds. Die Reisebüro-Inhaberin weiß, was es heißt, auf fremde Hilfe angewiesen zu sein.
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Sie war selbst Opfer der Hochwasserkatastrophe in Deutschland. Ihr Reisebüro hat sie seitdem nicht wieder betreten, es wurde komplett von der Flut zerstört.
"Wenn wir nicht private Helfer gehabt hätten, als wir rausschwimmen mussten, dann wären wir verloren gewesen", erzählt sie im Live-Talk. "Das hat im Kopf nochmal ganz viel ausgelöst", sagt sie mit Blick auf den Krieg in der Ukraine.
Seit Beginn des Kriegs hat sie zwei Hilfsaktionen organisiert und ist selbst an die Grenze gefahren. "Wir fuhren zur polnisch-ukrainischen Grenze, nach Przemysl und haben natürlich Hilfsgüter mitgenommen. An der Grenze erfuhren wir, dass viele Flüchtlinge in Polen festhingen. "Das war für mich der Grund, einfach weiterzumachen."
Auch Marten Lange-Siebenthaler, Chef von Dreizackreisen, fuhr in die Ukraine, um direkt vor Ort zu helfen. Als Spezialanbieter für Reisen in die Ukraine und nach Osteuropa unterhält er dort langjährige Geschäftsbeziehungen. Das Kriegsszenario, das ganz Europa so schockiert, ist für ihn nicht völlig neu. Sein Hauptreiseziel als Veranstalter war 2014 die Krim. "Ich habe das Leid im Donbass mit nahezu täglichen Toten erlebt."
Da er Kontakt in die Ukraine hatte, begann er schnell nach dem Einmarsch Russlands, einen Hilfstransport zu organisieren und erstellte eine Bedarfsliste mit Dingen, "die anderswo nicht auf Listen stehen, etwa Outdoor-Artikel wie Zelte, Isomatten, Schlafsäcke, Powerbanks, gute Taschenlampen", sagt Lange-Siebenthaler in dem Talk.
Krieg in der Ukraine: So können Touristiker helfen
Die Branche will helfen. Doch nicht jede und jeder aus der Touristik hat die Möglichkeit, persönlich eine Hilfsaktion zu organisieren. Deshalb hat fvw|TravelTalk gemeinsam mit den Talk-Gästen des Roundtable auf Counter Place Vorschläge für Hilfsmöglichkeiten zusammengestellt:
Aktion von Pia Emonds, Reisebüro Reiseengel, Kontakt: info@reiseengel-aachen.de
Aktion von Marten Lange-Siebenthaler, Dreizackreisen, Kontakt: info@dreizackreisen.de
Empfehlungen von Manfred Häupl, Hauser Exkursionen:
für Hilfe im Kriegsgebiet humedica.org,
für Unterkunftshilfe in Deutschland unterkunft-ukraine.de.
Touristische Ukraine-Initiativen (Auswahl):
hsma.de/de/touristikhilft (dort viele weitere Links zu Hilfs- und Spendenmöglichkeiten, wird unterstützt von FVW Medien),
ukrainehilfe-der-touristik.de (im Aufbau, Fertigstellung der Website geplant bis 12./13. März).
Hilfsorganisationen (Auswahl): aktion-deutschland-hilft.de, aktionsbuendnis-katastrophenhilfe.de/krieg-in-der-ukraine, aerzte-ohne-grenzen.de/unsere-arbeit/einsatzlaender/ukraine, drk.de/hilfe-weltweit/wo-wir-helfen/europa/ukraine-krise-humanitaere-hilfe, entwicklung-hilft.de, spendenkonto-nothilfe.de.
Warnung vor Schlepperbanden
An dem kleinen Übergang Dolhorwine gelangten sie über die Grenze. "Es war dort perfekt organisiert. Wir wurden auf eine extra Spur geleitet. Unsere ukrainischen Freunde haben uns auf einen Parkplatz gelotst. Dort haben wir die Waren umgeladen und dann auf dem Rückweg drei Frauen und ein Kind, die uns von den Helfern aus Polen zugewiesen wurden, mitgenommen."
In dem Zusammenhang weisen die Talk-Gäste auf Schlepperbanden hin, die an der Grenze aktiv seien. "Es ist unglaublich, dass Leute versuchen, das Leid der Menschen auch noch auszunutzen", sagt Lange-Siebenthaler. In seinem Falle hätten sich sowohl die Ukrainer als auch der Fahrer des Autos in Polen registrieren lassen. "Das ist absolut notwendig, damit nicht noch mehr Leid entsteht."
Hauser:"Haltung geht vor Geschäft"
Eine ganz andere Form der Hilfe leistete Manfred Häupl, Geschäftsführer von Hauser Exkursionen. Der Veranstalter war der erste nach Kriegsbeginn, der aus moralisch-ethischen Gründen Russland-Reisen absagte. "Ich habe mir gedacht, dass die Ersten, die so etwas entscheiden, eine Richtung vorgeben", erzählt Häupl. "Leicht habe ich mir die Entscheidung aber nicht leichtgemacht."
Ohnehin stehe er als Veranstalter immer wieder vor der Entscheidung, ob er Reisen zu "kritischen Zielen", etwa Diktaturen, ins Programm aufnehmen solle. "Sehr oft habe ich entschieden, dass wir am Staat vorbei die Menschen unterstützen. In Russland war es für mich aber völlig anders. Ich war so entsetzt von dieser Aggressivität, mit der Putin ein Land mit einem Blitzkrieg überfällt. Da habe ich sofort die rote Linie gezogen. Hier geht Haltung vor Geschäft."
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Zuvor hatte er sechs Touren durch Russland im Portfolio, die nun abgesagt sind. "Das ist ein klares Aufstehen gegen einen Aggressor, aber nicht gegen das Volk der Russen", betont Häupl. Die Kunden hätten erleichtert reagiert. "Sie waren eher dankbar, weil wir ihnen eine Entscheidung abgenommen haben."
Reisen nach Osteuropa hingegen bietet Hauser weiterhin an. "Wir wollen keine Sippenhaft und bieten komplett Osteuropa weiter an", erzählte Häupl. "Wir wissen nicht, wie die Auswirkungen auch durch die tausenden Flüchtlinge sein werden und müssen erstmal abwarten. Aktuell kommen keine neuen Buchungen rein."
Die "richtige" Hilfe für Flüchtlinge
Eine zentrale Frage des Live-Talks war, wie den Flüchtlingen am besten geholfen werden kann. Mit der Initiative "Touristik hilft", die auch der fvw|TravelTalk-Verlag FVW Medien unterstützt, gibt es bereits eine erste Vernetzung und Auflistung von Hilfs- und Spendemöglichkeiten, auch in den unterschiedlichen Bundesländern.
Zudem haben am Donnerstag sieben Touristiker um Kurt Koch (Mein Urlaubsglück) und Achim Steinebach (Amondo) den Verein "Ukrainehilfe der Touristik" gegründet, um den Opfern des russischen Angriffskriegs zu helfen.
Round Table: So hilft die Touristik in der Ukraine
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